Der von Marcel Züger verfasste Text stellt den Wolf als hochangepassten, erfolgreichen Kulturfolger dar, der sich hervorragend in menschlich genutzten Landschaften behaupten kann. Diese Darstellung enthält einige korrekte Fakten, vernachlässigt aber wichtige wissenschaftliche Zusammenhänge und differenzierte Bewertungen. Im Folgenden analysiere ich zentrale Aussagen kritisch und widerspreche ihnen auf Basis aktueller Forschung:
Widerspruch:
Die Aussage von Marcel Züger ist zu einseitig und wissenschaftlich nicht haltbar. Verhaltensökologen und Wildbiologen betonen, dass sowohl erlernte als auch genetisch verankerte Komponenten die Menschenscheu des Wolfs bestimmen.
Studie von McNay (2002): Zeigt, dass Wölfe auch ohne Jagddruck meist scheu bleiben. In Regionen mit geringer menschlicher Präsenz (z. B. Alaska) vermeiden Wölfe Kontakt, obwohl sie nie verfolgt wurden.
Nowak & Federoff (2002) betonen, dass Verhaltensmerkmale wie Fluchtverhalten in Wildtierpopulationen teils erblich sind. Selektion spielt eine Rolle, aber die Scheu ist nicht rein „kulturell“ erlernt.
Quellen:
McNay, M. E. (2002). A case history of wolf-human encounters in Alaska and Canada. Wildlife Society Bulletin.
Nowak, R. M., & Federoff, N. E. (2002). Wolf evolution and taxonomy. In Wolves: Behavior, Ecology, and Conservation.
Widerspruch:
Die Klassifikation von Marcel Züger als „Ubiquist“ ist irreführend. Zwar sind Wölfe anpassungsfähig, aber nicht in gleichem Maße wie klassische Kulturfolger.
Wölfe benötigen Rückzugsräume, insbesondere zur Jungenaufzucht. Diese Anforderungen schränken ihre Anpassung ein.
In Regionen mit hoher menschlicher Dichte (z. B. Mitteleuropa) werden Wölfe fast ausschließlich nachtaktiv, um Konflikte zu vermeiden (Reinhardt et al., 2015).
Anders als Krähen oder Füchse nutzen Wölfe Städte und Siedlungen nicht aktiv als Lebensraum, sondern meiden diese, sofern möglich.
Quellen:
Reinhardt, I., Kluth, G., Nowak, S., & Ansorge, H. (2015). Monitoring of wolves in Germany. BfN-Skripten.
Chapron et al. (2014). Recovery of large carnivores in Europe’s modern human-dominated landscapes. Science.
Widerspruch:
Hybride existieren, sind aber selten und werden streng überwacht. Sie sind kein dominierendes Artenschutzproblem in Europa.
In Deutschland lag der Hybridisierungsanteil bei weniger als 1 % der genetisch untersuchten Wölfe zwischen 2000 und 2020 (GFAW, 2021).
Die Gefahr für die Reinheit der Art wird überschätzt, da Wölfe hybridskeptisch sind – sie paaren sich lieber mit Artgenossen als mit Hunden, sofern verfügbar.
Quellen:
GFAW – Gesellschaft zum Schutz der Wölfe e.V. (2021). Wolf-Hund-Hybriden in Deutschland.
Hindrikson et al. (2017). Wolf–dog hybridization in Europe: A review.Biological Conservation.
Widerspruch:
Das ist nicht pauschal haltbar. Kulturlandschaften beherbergen bestimmte Arten, aber Wildnisgebiete fördern andere, teils bedrohte Arten.
Waldverjüngung durch Wolf: In Abwesenheit großer Beutegreifer kommt es zu überhöhten Wildbeständen, was die natürliche Waldverjüngung hemmt. Wölfe fördern durch Jagddruck eine dynamische Vegetationsentwicklung.
Studien zeigen, dass Rückkehr großer Prädatoren die trophische Kaskade reaktiviert – ein bedeutender Prozess für gesunde Ökosysteme (Ripple et al., 2014).
Weder Wildnis noch Kulturlandschaft ist „besser“ – Vielfalt entsteht im Mosaik beider Nutzungsformen.
Quellen:
Ripple, W. J., et al. (2014). Status and ecological effects of the world’s largest carnivores. Science.
Kuijper, D. P. J. et al. (2016). Predator-induced fear causes understorey restoration in forests. Nature Ecology & Evolution.
Richtig, aber irreführend im Kontext.
Wölfe sehen in bestimmten Farben eingeschränkt und haben eine gute Nachtsicht – das ist korrekt.
Die Schlussfolgerung, dass Beutetiere bei Sichtkontakt einfach „stillstehen“ müssen, vernachlässigt, dass Wölfe mehrere Sinne kombinieren – v. a. Geruch und Gehör – und daher sehr erfolgreich jagen.
Quelle:
Mech, L. D., & Boitani, L. (2003). Wolves: Behavior, Ecology, and Conservation.
Der Text von Marcel Züger verpackt korrekte biologische Fakten über Wölfe in eine narrative Struktur, die problematische, teils politisch motivierte Interpretationen zulässt. Aussagen wie die Gleichsetzung des Wolfs mit der Ratte als „Allerweltsart“ sind biologisch falsch und polemisch.
Eine differenzierte Bewertung, wie sie in der Wildtierökologie üblich ist, erkennt an:
Der Wolf ist ein wichtiger Bestandteil europäischer Ökosysteme.
Er ist nicht konfliktfrei, aber auch kein übermächtiger Schädling oder Popstar.
Die Koexistenz erfordert wissenschaftlich fundiertes Management, keine ideologische Polarisierung.