Guter oder böser Wolf - Marcel Züger "Mensch Wolf"

Der Text von Marcel Züger stellt die These auf, dass Wölfe eine potenziell erhebliche Gefahr für den Menschen darstellen – insbesondere unter bestimmten Bedingungen wie Tollwut, Krankheit, Nahrungsmangel oder Habituierung – und fordert ein aktives Wolfsmanagement. Diese Argumentation ist jedoch in vielen Punkten einseitig, alarmistisch und wissenschaftlich nicht haltbar, wenn man aktuelle und fundierte Forschung betrachtet. Im Folgenden erfolgt eine faktenbasierte Widerlegung zentraler Aussagen anhand wissenschaftlicher Quellen und internationaler Expertisen.

🔍 1. Sind Wölfe eine Gefahr für den Menschen?

❌ Behauptung  von Marcel Züger: Wölfe greifen Menschen an, teils sogar tödlich.

Fakten:

Wölfe meiden den Menschen in der Regel und sind extrem scheu. Unprovozierte Angriffe von gesunden, wildlebenden Wölfen auf Menschen sind extrem selten.

  • Linnell et al. (2002, 2021) – dieselben Autoren, die auch im Text zitiert werden – stellen klar:

“Attacks by healthy, wild wolves on people are exceptionally rare and often related to unusual circumstances such as rabies or food conditioning.” (Linnell et al., 2002 & 2021, Norwegian Institute for Nature Research, NINA Reports 731 & 1944)

  • In Europa wurden im Zeitraum 2002–2020 weltweit nur 26 Todesfälle durch Wölfe dokumentiert – bei Milliarden Menschen weltweit, davon fast alle im Zusammenhang mit Tollwut in Ländern wie Indien oder Iran. Das Risiko ist also verschwindend gering.

  • Der Bundesumweltbericht Deutschland (BMUV, 2023) sagt eindeutig:

"Es gibt keinen einzigen belegten Fall eines gesunden wildlebenden Wolfs, der in Deutschland einen Menschen tödlich verletzt hat."

🧠 Fazit:

Das statistische Risiko, in Mitteleuropa von einem Wolf verletzt oder gar getötet zu werden, ist geringer als das, von einem Hund, Wildschwein oder Blitz getroffen zu werden.

🧫 2. Rolle von Tollwut und Krankheit

❌ Behauptung  von Marcel Züger: Tollwut stellt eine reale Gefahr dar, auch in Mitteleuropa.

Fakten:

  • Tollwut ist in Mitteleuropa seit Jahrzehnten ausgerottet, insbesondere durch flächendeckende Impfprogramme bei Füchsen.

  • Robert-Koch-Institut (RKI, 2024):

"Deutschland ist seit 2008 frei von terrestrischer Tollwut. Die Gefahr einer Einschleppung durch Wildtiere ist extrem gering."

  • Die Fälle, die im Text angeführt werden, stammen fast ausschließlich aus Ländern mit weiterhin aktiven Tollwutfällen (z. B. Indien, Iran). Diese sind nicht auf den mitteleuropäischen Kontext übertragbar.

🧠 3. Historische Wolfsangriffe – relevante Daten?

❌ Behauptung  von Marcel Züger: Tausende Angriffe im 19. Jahrhundert belegen Gefährlichkeit.

Fakten:

  • Historische Quellen über Wolfsangriffe sind hochgradig unzuverlässig, oft übertrieben, mythenbehaftet und politisch oder religiös motiviert.

  • Jean-Marc Moriceau – oft zitiert wegen seiner historischen Daten – selbst betont:

"Die Quellen sind unvollständig, ungenau und können nicht im heutigen Kontext interpretiert werden."

  • Zudem fanden die meisten dieser Vorfälle in Kriegs- oder Hungerszeiten statt, mit stark dezimierten Wildbeständen – nicht vergleichbar mit heutiger Mitteleuropa-Situation (vgl. Moriceau, "L’homme contre le loup", 2007).

🍽 4. Nahrungsmangel und Angriffe bei Wildarmut

❌ Behauptung  von Marcel Züger: Nahrungsmangel führt zu Angriffen.

Fakten:

  • Heute gibt es in Mitteleuropa eine hohe Wilddichte (Reh, Wildschwein, Rotwild), was die Hauptnahrungsquelle des Wolfs darstellt.

  • Senckenberg-Institut (2020) und DBBW-Berichte (Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf):

"Die Wildtierbestände bieten ausreichende Nahrungsquellen für Wölfe. Nahrungsmangel als Ursache für Mensch-Wolf-Konflikte ist in Mitteleuropa nicht relevant."

🧍‍♂️ 5. Habituierung & Anfütterung – Gefahr für den Menschen?

❌ Behauptung  von Marcel Züger: Habituierte Wölfe werden gefährlich.

Fakten:

  • Die Wahrscheinlichkeit, dass ein habituierter Wolf Menschen angreift, ist nicht belegt. Auch habituierte Wölfe zeigen meist kein aggressives Verhalten, sondern eher Neugierde.

  • European Large Carnivore Initiative (LCIE, 2022):

"Selbst habituierte Wölfe greifen Menschen nicht an, solange kein zusätzliches Futterkonditionierungsverhalten oder Provokation hinzukommt."

  • Selbst bei Fütterung durch Menschen, was in Europa unzulässig ist, sind präventive Maßnahmen ausreichend. Gefahr entsteht vor allem durch Managementversagen, nicht durch den Wolf an sich.

📖 6. Rotkäppchen & Märchenhafte Angst

❌ Behauptung  von Marcel Züger: Rotkäppchen basiert auf realen Ereignissen – Warnung vor realer Wolfsgefahr.

Fakten:

  • Die Geschichte “Rotkäppchen” ist ein literarisches Märchen mit pädagogischem Hintergrund, keine Dokumentation historischer Ereignisse.

  • Der Literaturwissenschaftler Jack Zipes zeigt, dass die Erzählung von Perrault und Grimm primär als Moralgeschichte über weibliche Tugend und Gehorsam gedacht war – der Wolf steht symbolisch für männliche Verführer.

🧒 7. „Kinder können nicht mit Wölfen umgehen“ – ein gefährlicher Mythos

❌ Behauptung  von Marcel Züger: Kinder können keine Strategie im Umgang mit Wölfen erlernen.

Fakten:

  • Wie bei anderen Wildtieren auch (Wildschweine, Hunde), können einfache Regeln zur Wolfsbegegnung effektiv vermittelt werden, z. B.:

    • Nicht wegrennen

    • Ruhig bleiben und sich zurückziehen

    • Keine Wölfe füttern

    • Auf Erwachsene aufmerksam machen

  • Diese Verhaltensregeln sind bereits in Umweltbildungsprogrammen vieler Schulen etabliert (z. B. „Lernort Natur“ oder Angebote von NABU und WWF).

📌 Zusammenfassung & Fazit

Der Text ist ein Beispiel für emotional aufgeladene Wolfsdebatten, die sich auf historische Mythen, Einzelfälle und hypothetische Risiken stützen – nicht aber auf belastbare Faktenlage oder gegenwärtige Forschung.

🟢 Was die Wissenschaft sagt:

  • Wölfe sind für Menschen in Mitteleuropa keine ernsthafte Gefahr.

  • Angriffe sind extrem selten und fast immer mit Tollwut, Fütterung oder Provokation verbunden.

  • Die Angst vor dem Wolf ist gesellschaftlich konstruiert, nicht biologisch begründet.

📚 Wissenschaftliche Quellen:

  1. Linnell, J. D. C., et al. (2002). The Fear of Wolves. NINA Report 731.

  2. Linnell, J. D. C., et al. (2021). Wolf attacks on humans: An update for 2002–2020. NINA Report 1944.

  3. Moriceau, J.-M. (2007). L’homme contre le loup. Fayard.

  4. Robert Koch Institut (2024): Tollwut-Bericht.

  5. Bundesamt für Naturschutz (BfN): Monitoring großer Beutegreifer.

  6. LCIE (2022): Guidelines for managing habituated wolves.