Der Text von Marcel Züger schildert ein stark prädatorzentriertes Narrativ, in dem Beutegreifer wie der Fuchs als Hauptursache für den Rückgang vieler Wildtierarten – insbesondere von Bodenbrütern wie Rebhuhn, Feldlerche oder Feldhase – dargestellt werden. Dabei wird insbesondere ein intensives Raubtiermanagement (z.B. Prädatorenregulierung) als unabdingbarer Bestandteil des Artenschutzes propagiert. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz, verzerrt wissenschaftliche Erkenntnisse und blendet zentrale ökologische Zusammenhänge aus. Im Folgenden analysiere ich zentrale Argumentationslinien des Textes kritisch und widerlege sie anhand wissenschaftlich fundierter Quellen.
Behauptung von Marcel Züger: "Füchse und andere Mesoprädatoren sind wesentlich für den Rückgang von Hasen und bodenbrütenden Vögeln verantwortlich. Prädation ist „eine der grössten Gefahren“.
Widerspruch & wissenschaftliche Einordnung: Prädation ist ein natürlicher Bestandteil ökologischer Systeme und nicht per se populationsbegrenzend. Viele Studien zeigen, dass Prädation erst dann zu einem Problem wird, wenn Lebensräume degradiert, strukturell verarmt oder stark fragmentiert sind. In solchen Fällen steigt die Vulnerabilität der Beutearten – nicht wegen der Prädatoren selbst, sondern wegen mangelnder Deckung, fehlender Rückzugsräume oder ungenügender Habitatverfügbarkeit.
Hinsichtlich des Feldhasen etwa betonen zahlreiche Studien, dass Lebensraumverlust und landwirtschaftliche Intensivierung die wesentlichen Ursachen für den Rückgang sind, nicht Prädation durch Füchse:
"The main drivers of European brown hare decline are habitat loss, agricultural intensification and loss of landscape heterogeneity, not predation." (Smith et al., 2005, Acta Theriologica)
Auch beim Rebhuhn ist klar dokumentiert, dass Habitatqualität die wichtigste Einflussgröße ist:
"Partridge breeding success is more dependent on the quality of nesting cover and insect-rich brood-rearing habitat than on predator control alone." (Aebischer & Ewald, 2004, Bird Study)
→ Fazit: Prädation ist oft nur ein Symptom, nicht die Ursache des Artenschwundes. Sie wird dann problematisch, wenn die landnutzungsbedingte Habitatqualität abnimmt.
Behauptung von Marcel Züger: In Niederwildrevieren konnten durch konsequente Bejagung von Prädatoren und Lebensraumpflege stabile Hasen- und Rebhuhnbestände erreicht werden.
Widerspruch: Es gibt Belege, dass lokale Beutegreiferkontrolle kurzfristig den Bruterfolg mancher Arten erhöht – aber nur bei gleichzeitiger, massiver Lebensraumverbesserung. Isolierte Prädatorenreduktion ist nicht nachhaltig, da Beutegreifer rasch wieder einwandern (besonders Füchse mit hoher Reproduktionsrate).
Die vielzitierte Langzeitstudie von Tapper et al. (1996) zeigt z.B., dass die Bejagung von Prädatoren beim Rebhuhn nur unter Bedingungen intensiver Habitatpflege Erfolg hatte. Wird diese eingestellt, brechen die Bestände trotz Bejagung wieder ein.
“Long-term increases in grey partridge were only achieved where both predator control and habitat improvements were implemented.” (Tapper, Potts & Brockless, Journal of Applied Ecology, 1996)
Langfristig wirksamer ist die Verbesserung von Habitatstruktur, da sie gleichzeitig Schutz vor Prädation und bessere Reproduktionschancen schafft (vgl. Trouwborst et al., 2017, Biodiversity and Conservation).
→ Fazit: Prädatorenreduktion kann punktuell unterstützen, ist jedoch kein Ersatz für umfassende Habitatmaßnahmen und nicht skalierbar auf große Gebiete oder Flächen wie den Alpenraum.
Behauptung von Marcel Züger: "Der Fuchs gefährde durch seine Allgegenwart massiv Bodenbrüter, Hasen und Kleinsäuger. Wo der Fuchs läuft, „fehlt das Wild“.
Widerspruch: Der Fuchs ist ein natürlicher Bestandteil der Fauna und hat eine wichtige Rolle im Nährstoffkreislauf und der Populationskontrolle von Kleinsäugern (z.B. Wühlmäusen, die landwirtschaftliche Schäden verursachen). Der Einfluss auf größere Wildarten ist viel geringer als behauptet.
Die Aussage, Füchse würden „Hasen massiv gefährden“, ist übertrieben. Hasenpopulationen sind primär durch Habitatqualität limitiert, wie bereits oben erwähnt.
Auch Nestverluste bei Bodenbrütern durch Füchse sind nicht flächendeckend dramatisch. Viele Arten haben Vermeidungsstrategien entwickelt (z.B. Synchronbrut, Gelegenverlagerung).
Der positive Einfluss von Raubtieren auf Ökosystemstabilität ist vielfach nachgewiesen (Trophic cascades). Das Entfernen von Mesoprädatoren kann unerwartete Nebeneffekte haben – z.B. durch vermehrten Bestand von Nagern, die dann selbst Gelege plündern (vgl. Roemer et al., 2009, BioScience).
→ Fazit: Der Fuchs ist kein ökologischer Schädling, sondern Teil eines gesunden Ökosystems.
Behauptung von Marcel Züger: Hauskatzen töten Millionen Vögel und Kleinsäuger und verursachen einen ähnlich hohen Blutzoll wie die illegale Vogeljagd im Mittelmeerraum.
Widerspruch: Während das Thema Freigängerkatzen zweifellos eine Relevanz hat, sind die zitierten Zahlen (bis zu 65 Millionen Vögel pro Jahr) umstritten. Es handelt sich meist um Hochrechnungen aus Modellstudien, die auf zweifelhaften Annahmen beruhen.
Die bekannte Studie von Loss et al. (2013) aus den USA wurde stark kritisiert wegen methodischer Unsicherheiten und unklarer Quellenbasis:
“The estimates may overstate the actual mortality and lack precise ecological context.” (Marra et al., 2015, Nature Communications)
Zudem gibt es regionale Unterschiede: In naturnahen, strukturreichen Lebensräumen mit hoher Populationsdichte von Singvögeln ist der Effekt geringer.
→ Fazit: Die Problematik verwilderter Hauskatzen ist real, aber nicht der Hauptgrund für Artenschwund, sondern eher ein Nebeneffekt anthropogener Lebensraumveränderungen.
Behauptung von Marcel Züger: Trotz Luchs und Wolf bleibt der Verbissdruck im Schutzwald hoch, daher sind sie für die Waldverjüngung ungeeignet.
Widerspruch: Diese pauschale Schlussfolgerung ignoriert die zeitliche Dimension und komplexe Interaktionen. Prädatoren beeinflussen das Verhalten von Beutetieren (z.B. erhöhte Fluchtbereitschaft, Ortswechsel) – dieser „ecology of fear“-Effekt kann langfristig zu veränderten Verbissmustern führen.
Die Effekte sind jedoch nicht sofort sichtbar und variieren regional stark (vgl. Ripple & Beschta, 2004, Frontiers in Ecology).
Außerdem kann eine Kombination aus Wildregulierung, Jagdstrategien und natürlicher Prädation deutlich effektiver sein als alleiniger Jagddruck.
Dass sich nach 15 Jahren keine Effekte einstellen, liegt eher an fehlender Landschaftsvernetzung, zu geringer Raubdichte oder weiterhin hohem Jagddruck (vgl. Kuijper et al., 2013, Biological Reviews).
→ Fazit: Die Erwartung sofortiger, flächendeckender Effekte durch Prädatoren ist ökologisch naiv und ignoriert Systemträgheiten.
Der Text vermischt selektiv Fakten mit spekulativen Aussagen und verallgemeinert Einzelbeobachtungen zu allgemeinen Handlungsaufforderungen. Er überbetont die Rolle von Prädatoren als Hauptursache des Artenrückgangs und blendet zentrale ökologische Zusammenhänge wie Habitatqualität, Landschaftszerschneidung, Klimawandel und Landwirtschaft weitgehend aus.
Behauptung | Wissenschaftliche Widerlegung |
Prädatoren sind Hauptursache für Artenrückgang | Falsch – Lebensraumqualität ist der zentrale Treiber |
Prädatorenkontrolle ist nachhaltiger Artenschutz | Falsch – nur in Kombination mit massiver Habitatpflege sinnvoll |
Füchse sind Schlüsselart im negativen Sinn | Verkürzt – sie sind integraler Bestandteil funktionierender Ökosysteme |
Hauskatzen töten zig Millionen Wildtiere | Teilweise übertrieben – basiert auf unsicheren Hochrechnungen |
Luchs & Wolf bringen keinen Schutzwaldeffekt | Falsch – Effekte sind langfristig und regional unterschiedlich |
Smith, R. K., Jennings, N. V., & Harris, S. (2005). A quantitative analysis of the abundance and demography of European hares Lepus europaeus in relation to habitat type, intensity of agriculture and climate. Acta Theriologica.
Tapper, S., Potts, G. R., & Brockless, M. H. (1996). The effects of predator control on grey partridge populations: A game management perspective. Journal of Applied Ecology.
Ripple, W. J., & Beschta, R. L. (2004). Wolves and the ecology of fear: can predation risk structure ecosystems? BioScience.
Kuijper, D. P. J., et al. (2013). Ungulate browsing and tree regeneration: consequences for forest dynamics. Biological Reviews.
Trouwborst, A., et al. (2017). Legal implications of animal reintroductions and rewilding. Biodiversity and Conservation.