Der Text von Marcel Züger vermittelt eine kritisch-romantisierende Perspektive auf die Rückkehr des Wolfs in den Alpenraum. Die Argumentation ist teilweise suggestiv und emotional aufgeladen und enthält einige wissenschaftlich fragwürdige Annahmen, die sich mit aktuellen ökologischen und biologischen Erkenntnissen widerlegen oder zumindest relativieren lassen. Hier eine Analyse mit fundierten Gegenargumenten aus der Wissenschaft:
„Das Ende für den Wolf, der Anfang der weltberühmten Alpenlandschaften.“
Gegenargument: Die Ausrottung des Wolfs war kein notwendiger oder gar förderlicher Schritt zur Entwicklung der Alpenlandschaft. Vielmehr war sie das Ergebnis von Verfolgung und Mythenbildung. Die biologische Vielfalt profitierte nicht durch das Verschwinden des Wolfs, sondern litt unter der intensiven Landnutzung und Habitatfragmentierung.
Laut Chapron et al. (2014, Science), erholt sich die Wolfspopulation trotz hoher menschlicher Bevölkerungsdichte, weil gesetzlicher Schutz und Akzeptanz steigen – was zeigt, dass Koexistenz möglich ist.
Studien zeigen, dass große Beutegreifer wie der Wolf wichtige ökologische Rollen erfüllen, etwa durch die Regulation von Wildtierpopulationen und die Förderung der Biodiversität (Ripple et al., 2014, Science).
„Ein wilder, ungenutzter Alpenraum wäre bedeutend artenärmer als die bewirtschaftete Kulturlandschaft.“
Gegenargument: Die Behauptung ist stark verallgemeinert und wissenschaftlich nicht haltbar. Artenvielfalt hängt von Mosaiklandschaften ab – sowohl von extensiv bewirtschafteten Flächen als auch von Rückzugsräumen, wie sie Wildnis bieten kann.
Laut einer Metaanalyse (Rey Benayas et al., 2009, Ecology Letters) erhöht passive Wiederverwilderung („rewilding“) die Biodiversität durch Wiederherstellung natürlicher Prozesse.
Besonders Arten höherer trophischer Ebenen (z. B. Greifvögel, Beutegreifer) profitieren nicht von Kulturlandschaft allein, sondern brauchen störungsarme Gebiete.
„Eine Allerweltsart. Unspektakulär, fast ein bisschen enttäuschend.“
Gegenargument: Wölfe sind keine Allerweltsarten im ökologischen Sinn, sondern Schlüsselarten (keystone species). Ihre Präsenz verändert trophische Kaskaden und hat messbare Auswirkungen auf ganze Ökosysteme.
Im Yellowstone-Nationalpark wurde nachgewiesen, dass Wölfe indirekt die Vegetation fördern, indem sie die Bewegungsmuster von Wapithis verändern – ein Beispiel für die sogenannte „trophic cascade“ (Ripple & Beschta, 2012).
Die Rückkehr von Wölfen kann über längere Zeiträume zu besseren Bedingungen für Waldverjüngung führen (Kauffman et al., 2010, Ecological Monographs).
„Die Landschaft hat sich in den letzten 500 Jahren grundlegend gewandelt.“
Gegenargument: Gerade weil sich die Landschaft gewandelt hat, ist ein ökologisches Gegengewicht durch große Beutegreifer wichtiger denn je. Außerdem zeigen wissenschaftliche Studien, dass Wölfe mit moderner Kulturlandschaft kompatibel sein können – mit entsprechender Regulierung und Herdenschutz.
Studien aus Italien, Frankreich und der Schweiz zeigen, dass kooperative Herdenschutzmaßnahmen Angriffe signifikant verringern können (van Liere et al., 2020, Frontiers in Ecology and Evolution).
Die Koexistenz mit dem Wolf ist kein Idealismus, sondern in vielen dicht besiedelten Regionen Europas gelebte Praxis (Linnell et al., 2001, NINA).
„Der Wolf ist ein Popstar […] eine Projektionsfläche.“
Gegenargument: Emotionale Aufladung ist ein natürlicher Bestandteil gesellschaftlicher Debatten über Wildtiere. Doch das kann und sollte nicht dazu führen, dass ihre ökologische Rolle und ihre Legitimität als Wildtier delegitimiert werden. Wissenschaftlich betrachtet ist die Rückkehr des Wolfs ein Zeichen funktionierender Ökosysteme.
Thema | Wissenschaftliche Quelle | Aussage |
Rückkehr großer Beutegreifer | Chapron et al., 2014 (Science) | Die Wolfspopulation nimmt zu – trotz hoher Bevölkerungsdichte |
Biodiversität durch Wildnis | Rey Benayas et al., 2009 (Ecology Letters) | Wildnis fördert langfristig die Biodiversität |
Trophic Cascades | Ripple & Beschta, 2012 (Biological Conservation) | Wölfe beeinflussen Ökosysteme tiefgreifend |
Herdenschutz | van Liere et al., 2020 (Frontiers) | Herdenschutzmaßnahmen wirken effektiv |
Koexistenz Mensch-Wolf | Linnell et al., 2001 (NINA) | Koexistenz ist praktikabel und in Europa erprobt |
Der Text romantisiert eine idealisierte Kulturlandschaft und dramatisiert die Rückkehr des Wolfs. Dabei werden zentrale ökologische Zusammenhänge ausgeblendet oder verzerrt dargestellt. Wissenschaftlich ist gut belegt, dass der Wolf ein ökologisch wertvoller Bestandteil naturnaher Landschaften ist – auch im Alpenraum. Die Herausforderung liegt nicht in seiner Existenz, sondern in unserem Umgang mit ihm.