Kein Wald, kein Wild - Marcel Züger "Mensch Wolf"

Der Autor Marcel Züger versucht, historische Wildtierverfolgung und die Naturzerstörung als notwendige und sogar nachhaltige Entwicklung darzustellen – das ist aus wissenschaftlicher Sicht in weiten Teilen problematisch, selektiv und irreführend. Ich werde zentrale Aussagen analysieren und mit Fakten und Quellen widerlegen oder relativieren.

🔍 1. Historische Wildtierverfolgung war notwendig für das Überleben?

Behauptung von Marcel Züger: Wildtiere wurden aus Notwendigkeit verfolgt, weil sie Nahrungskonkurrenten waren und die Existenz der Menschen bedrohten.

🔻 Widerlegung:

  • Die Verfolgung war nicht ausschließlich aus Überlebensnot motiviert, sondern wurde häufig ideologisch oder religiös begründet (z.B. Dämonisierung des Wolfs, "böses Raubzeug").

  • Schon im Mittelalter wurde gezielte Tierverfolgung institutionalisiert, z.B. durch staatlich bezahlte „Schädlingsprämien“ (z. B. in Bayern bis ins 20. Jh.).

📚 Quelle:

  • Linnell et al. (2002): The fear of wolves: A review of wolf attacks on humans. NINA, Norwegen.

  • Breitenmoser (1998): Large predators in the Alps: The fall and rise of man and carnivores. Biological Conservation.

Fazit: Die Wildtierverfolgung war nicht nur existenziell motiviert, sondern oft kulturell und wirtschaftlich bedingt.

🌲 2. Kein Wald – kein Wild: Frühere Waldnutzung entzog den Wildtieren den Lebensraum?

Behauptung von Marcel Züger: Exzessive Nutzung des Waldes entzog Wildtieren den Lebensraum – deshalb seien sie verschwunden.

🔻 Widerlegung:

  • Viele Wildtiere profitieren sogar von strukturreichen Kulturlandschaften, etwa Offenflächen, Hecken, extensiven Weiden.

  • Der massive Artenrückgang im 19. Jh. hatte nicht primär mit Lebensraumverlust, sondern mit systematischer Ausrottung (Jagd, Gift, Fang, Prämien) zu tun.

📚 Quelle:

  • Ellenberg, H. (1986): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer Sicht.

  • J. Gossow & M. Reimoser (2006): Wildökologische Grundlagen zur Hege und Jagd.

Fazit: Wildtiere verschwanden nicht nur wegen Waldverlust, sondern wegen gezielter Vernichtung.

🐺 3. Raubtiere waren eine ernste Gefahr für Menschen?

Behauptung von Marcel Züger: Bär, Wolf und Luchs stellten eine reale Bedrohung für Menschen, insbesondere Kinder dar.

🔻 Widerlegung:

  • Dokumentierte Angriffe auf Menschen sind extrem selten. Meist handelte es sich um Tollwutfälle oder Verteidigung von Jungtieren.

  • Statistisch gesehen war die Gefahr durch andere Menschen oder Haustiere (z. B. Hunde) um ein Vielfaches höher.

📚 Quelle:

  • Linnell, J.D.C. et al. (2002): The fear of wolves: A review of wolf attacks on people.

  • Boitani, L. (2000): Wolf conservation and recovery in Europe: Fostering cooperation across borders. WWF Europe.

Fazit: Die Angst vor Raubtieren war überzogen und kulturell verstärkt, nicht faktisch begründet.

🧪 4. DDT & Tollwut halfen den Bodenbrütern?

Behauptung von Marcel Züger: Der Rückgang von Raubwild durch Tollwut und DDT war hilfreich für Vögel wie Feldlerche, Braunkehlchen etc.

🔻 Widerlegung:

  • Diese Pestizide verursachten massive Schäden an der gesamten Nahrungskette (v.a. Greifvögel wie Seeadler, Wanderfalke).

  • DDT wurde wegen extremer ökotoxikologischer Effekte verboten.

📚 Quelle:

  • Carson, R. (1962): Silent Spring – das Standardwerk über die Gefahren von DDT.

  • Newton, I. (1979): Population ecology of raptors.

Fazit: Die indirekten „Vorteile“ von DDT für Bodenbrüter sind keinesfalls eine legitime Begründung für dessen Einsatz.

🔄 5. Natur nutzt Ressourcen „bis zur Neige“ – also ist das nachhaltig?

Behauptung von Marcel Züger: Natur kennt kein Gleichgewicht, sie nutzt Ressourcen bis zum Limit – das sei „nachhaltig.

🔻 Widerlegung:

  • Diese Argumentation ist eine Fehlinterpretation ökologischer Prinzipien. Ökosysteme streben dynamisches Gleichgewicht an (Homöostase).

  • Nachhaltigkeit bedeutet nicht Belastung bis zum Maximum, sondern langfristige Tragfähigkeit innerhalb ökologischer Grenzen.

📚 Quelle:

  • Rockström et al. (2009): A safe operating space for humanity. Nature.

  • Meadows et al. (1972): The Limits to Growth.

Fazit: Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird hier ideologisch umgedeutet, um destruktive Praktiken zu rechtfertigen.

⚖️ 6. Fazit: Die zentrale Erzählung ist ideologisch gefärbt

Der Text liefert eine historisch-romantisierende Darstellung, die eine fragwürdige Form von „nachhaltiger Übernutzung“ rechtfertigt. Wissenschaftlich betrachtet ist die Ausrottung vieler Arten, der Einsatz von Umweltgiften und die Verfolgung ganzer Tiergruppen nicht nachhaltig, sondern Ausdruck eines einseitigen, anthropozentrischen Nutzungsmodells.

✅ Zusammenfassung der Widerlegungen:


Behauptung
Widerlegung
Quelle

Raubtiere bedrohten Menschen

Faktisch falsch – äußerst seltene Angriffe

Linnell et al., 2002

Ausrottung wegen Lebensraumverlust

Hauptgrund war systematische Verfolgung

Breitenmoser, 1998

DDT half Bodenbrütern

Führte zu massiven Schäden

Carson, 1962

Nachhaltigkeit = Belastung bis Limit

Missbrauch des Begriffs

Rockström et al., 2009

Natur „nutzt Ressourcen bis zur Neige“

Ökosysteme streben Balance an

Meadows et al., 1972