Der von Marcel Züger vorgelegte Text über das Verhalten und die Nahrungsbeschaffung von Wölfen enthält viele korrekte Beobachtungen, ist jedoch stellenweise stark emotionalisiert, dramatisierend oder selektiv in der Darstellung. Im Folgenden erfolgt eine faktenbasierte und wissenschaftlich gestützte Widerlegung bzw. Relativierung zentraler Aussagen.
Behauptung von Marcel Züger: Wölfe legen sich mit Wisenten, Bären oder Herdenschutzhunden an, um Beute zu erlangen.
Fakt: Solche Interaktionen sind extrem selten. Wölfe vermeiden Kämpfe mit größeren oder potenziell gefährlichen Tieren. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Wölfe Risiko strategisch minimieren, insbesondere bei Bären oder Wisenten, die sie in der Regel meiden.
Quelle: Mech, L.D., & Boitani, L. (2003). Wolves: Behavior, Ecology, and Conservation. University of Chicago Press.
Behauptung von Marcel Züger: Wölfe jagen „intelligenter als jedes andere Landraubtier“, nur Orcas seien vergleichbar.
Fakt: Diese Aussage ist eine unwissenschaftliche Überhöhung. Viele Beutegreifer (z. B. Wildhunde, Geparden, Jaguare, Raubvögel) zeigen vergleichbare oder sogar ausgeprägtere Jagdstrategien, angepasst an ihre Umwelt und Beute.
Quelle: Allen, B.L., & West, P. (2013). “Ethical” research on predator control: The role of science, values, and the media. Biological Conservation.
Behauptung von Marcel Züger: „Natur ist brutal, aber beim Nutztier ist der Mensch verantwortlich“ – Wolfsangriffe auf Nutztiere werden als blutige Ausnahmen dargestellt.
Fakt: Die emotionale Gegenüberstellung von „brutaler Wolf“ und „schutzbedürftigem Nutztier“ ist ethisch verzerrt. Auch Füchse, Marder oder Greifvögel töten bei Gelegenheit „mehr als nötig“ (Surplus-Killing). Dieses Verhalten ist kein Alleinstellungsmerkmal des Wolfs und nicht Ausdruck von „Blutrausch“, sondern ein evolutionär erklärbares Verhalten bei bestimmten Beutesituationen.
Quelle: Kruuk, H. (1972). Surplus killing by carnivores. Journal of Zoology.
Behauptung von Marcel Züger: Ein einzelner Wolf könne „problemlos ein 400-kg-Rind“ töten – mit implizierter Bedrohung für Landwirtschaft.
Fakt: Solche Fälle sind extreme Ausnahmen und wissenschaftlich kaum belegt. In Studien aus Mitteleuropa wurde wiederholt nachgewiesen, dass Einzelwölfe fast ausschließlich kleine Beute oder Aas nutzen.
Quelle: Reinhardt, I., Kluth, G., Nowak, S. et al. (2019). Wolf attacks on livestock in Germany – data from 2000 to 2017. Biological Conservation.
Behauptung von Marcel Züger: Ein Rudel töte jährlich 600 Rehe oder 100 Hirsche.
Fakt: Diese Zahlen sind dramatisierend und ohne differenzierte wissenschaftliche Herleitung. In Deutschland zeigt das Monitoring, dass ein Rudel etwa 60 bis 80 große Huftiere pro Jahr erlegt – je nach Region, Wildbestand und Rudelgröße.
Quelle: Bundesamt für Naturschutz (BfN), Dokumentation Wolfsmonitoring (2022).
Behauptung von Marcel Züger: „Kultivierte Natur“ vs. „rohe Wildheit“ – eine kulturelle Spitzenleistung gegen ein archaisches Tier.
Fakt: Diese Dichotomie ist romantisierend und anthropozentrisch. In der ökologischen Debatte wird zunehmend anerkannt, dass Artenvielfalt, Wildnis und Kulturlandschaft gleichberechtigt berücksichtigt werden müssen. Der Wolf ist ein Schlüsselprädator mit ökologischer Funktion – keine primitive Bedrohung.
Quelle: Ripple, W.J. et al. (2014). Status and ecological effects of the world’s largest carnivores. Science.
Behauptung von Marcel Züger: Wölfe bedrohen zunehmend Nutztiere, da ihr Hunger und ihr Nachwuchs besonders im Sommer zu Angriffen führt.
Fakt: Ja, es gibt Konfliktpotenzial, insbesondere bei nicht geschützten Herden. Aber Länder wie Frankreich, Italien und die Schweiz zeigen, dass mit flächendeckendem Herdenschutz (>80 % abgedeckten Herden) Wolfsangriffe massiv reduziert werden können.
Quelle: Reinhardt, I. et al. (2020). Effective prevention of wolf attacks on livestock in Europe. Frontiers in Ecology and the Environment.
Der Text mischt viele zutreffende Verhaltensbeschreibungen mit emotionalen Zuspitzungen, dramatisierenden Einzelfällen und einer kulturkonservativen Grundhaltung, die den Wolf als Fremdkörper in der Kulturlandschaft darstellt. Eine differenzierte, wissenschaftlich fundierte Betrachtung zeigt:
Der Wolf ist weder blutrünstig noch irrational gefährlich.
Jagdverhalten ist ökologisch sinnvoll und angepasst.
Schäden an Nutztieren sind kontrollierbar durch präventive Maßnahmen.
Einseitige Narrative behindern sachliche Debatten zur Koexistenz.