Der Text von Marcel Züger bietet eine informative und ausgewogene Darstellung zur Bedeutung von Wiesen und Weiden im Alpenraum für die Biodiversität. Dennoch gibt es mehrere Punkte, die einer kritischen Überprüfung unterzogen werden können – insbesondere in Bezug auf die pauschalen Aussagen über ökologische Wertigkeiten und die (nicht immer belegte) Darstellung vermeintlicher Gegensätze. Im Folgenden analysiere und widerlege ich zentrale Thesen des Textes, mit Verweis auf wissenschaftliche Quellen.
Behauptung von Marcel Züger: „Wiese oder Weide – aus naturschutzfachlicher Sicht ist keine besser.“
Widerlegung: Diese Aussage vernachlässigt die wissenschaftlich gut belegten Unterschiede in Strukturvielfalt, Artenreichtum und ökologischer Funktion. Zwar können sich Wiesen und Weiden ergänzen, doch die Annahme einer Gleichwertigkeit ist ökologisch nicht haltbar.
Extensiv genutzte Mähwiesen beherbergen eine höhere Pflanzenvielfalt als beweidete Flächen, insbesondere bei früher und einschüriger Mahd (Boller et al., 2009).
Weiden dagegen fördern eher eine höhere Insekten- und Bodenfauna, aber unter Einschränkungen. Zu intensive Beweidung kann zu Artenverlusten führen (Fischer & Wipf, 2002; Veen et al., 2009).
🔗 Quelle:
Fischer, M., & Wipf, S. (2002). Effect of low-intensity grazing on the species-rich vegetation of traditionally mown subalpine meadows. Biological Conservation, 104(1), 1–11.
Boller, T., et al. (2009). Agrarbericht 2009: Agrarökologie. Bundesamt für Landwirtschaft (BLW).
Behauptung von Marcel Züger: „Punkto Nistplatzangebot sind extensive Weiden unschlagbar.“
Widerlegung: Diese Aussage ist zu pauschal. Tatsächlich hängt die Eignung stark von Standortbedingungen ab. Viele Wildbienenarten bevorzugen offene Bodenstellen, die sowohl in Wiesen (z. B. durch Bodenbearbeitung, Tritt) als auch auf nicht überweideten Weiden vorkommen können.
Zu dichte Beweidung zerstört nicht nur Blütenangebote, sondern auch potenzielle Nistplätze durch Trittschäden oder Bodenerosion.
Mähwiesen mit Randstrukturen oder extensiv bewirtschaftete Brachen bieten vergleichbare oder sogar bessere Nestplätze (Westrich, 2018).
🔗 Quelle:
Westrich, P. (2018). Die Wildbienen Deutschlands. Ulmer Verlag.
Behauptung von Marcel Züger: „Eine Wiese hat eine intensivere Blütenfülle, allerdings nur für eine beschränkte Zeit.“
Widerlegung: Das ist irreführend. Gerade durch eine gestaffelte Mahd (sog. Staffelmahd) oder durch mehrschnittige, aber spät gemähte Flächen kann das Blütenangebot deutlich verlängert werden – mit großem Nutzen für Insekten mit längerer Flugzeit.
Studien zeigen, dass durch Staffelmahd der Blühzeitraum um bis zu 60 % verlängert werden kann (Humbert et al., 2012).
🔗 Quelle:
Humbert, J.-Y., Ghazoul, J., Richner, N., & Walter, T. (2012). Uncut grass refuges mitigate the impact of mechanical meadow harvesting on orthopterans. Biological Conservation, 152, 96–101.
Behauptung von Marcel Züger: „Imagines sind nach kurzer Zeit überflüssig.“
Widerlegung: Die pauschale Relativierung des Insektensterbens durch Mahd ignoriert signifikante populationsökologische Effekte. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Mahd, insbesondere bei häufiger Mahd (mehr als 2 Schnitte), ganze Insektengenerationen vernichten kann – besonders bei späten oder langsamen Entwicklern.
Besonders betroffen: Schmetterlingsraupen, Heuschrecken, solitäre Bienen.
Mahd kann zu über 80 % Mortalität bei bestimmten Gruppen führen (Buri et al., 2013).
🔗 Quelle:
Buri, P., Humbert, J.-Y., & Arlettaz, R. (2013). Promoting Pollinating Insects in Intensive Agricultural Matrices: Field-Scale Experimental Manipulation of Hay-Meadow Mowing Regimes and Its Effects on Bees. PLOS ONE, 8(7), e69201.
Behauptung von Marcel Züger: „Gülle ist ein reines Naturprodukt.“
Widerlegung: Gülle ist zwar biologisch, jedoch mit negativen ökologischen Folgen für artenreiche Wiesen verbunden:
Gülle und Silagewirtschaft führen zur Eutrophierung, fördern nährstoffliebende Arten (z. B. Löwenzahn, Quecke) und verdrängen konkurrenzschwache Wiesenarten.
Diese Entwicklung ist Hauptursache für den Rückgang der artenreichen Magerwiesen in Mitteleuropa (Baldock et al., 1993).
🔗 Quelle:
Baldock, D., et al. (1993). Nature Conservation and New Directions in the CAP. Institute for European Environmental Policy.
Behauptung von Marcel Züger: „Mehr Vielfalt durch Mosaiknutzung.“
Einschränkung: Die Idee eines Nutzungsmosaiks ist ökologisch sinnvoll – jedoch funktioniert sie nur unter bestimmten Rahmenbedingungen:
Koordinierte Bewirtschaftung, nicht wild wechselnde Nutzungen.
Schutzgebiete oder Ruhezonen müssen enthalten sein.
Vielfältige Nutzung ist nicht automatisch artenreich – wenn sie intensiv erfolgt, kann sie sogar schädlich sein (Tscharntke et al., 2005).
🔗 Quelle:
Tscharntke, T., et al. (2005). Landscape perspectives on agricultural intensification and biodiversity – ecosystem service management. Ecology Letters, 8(8), 857–874.
Der Text ist gut gemeint und basiert auf ökologischen Beobachtungen, vermischt aber oft populärwissenschaftliche Aussagen mit verallgemeinernden Schlüssen, die wissenschaftlich nicht durchgängig belegbar sind. Besonders kritisch sind:
die idealisierte Darstellung von Beweidung,
die relativierende Haltung gegenüber Mähverlusten bei Insekten,
und die pauschale Gleichstellung von Wiesen und Weiden.
Die tatsächlich nachgewiesene Artenarmut auf intensiv genutzten Flächen (auch beweideten) widerspricht dem Bild, dass jede Form der extensiven Nutzung automatisch zu hoher Biodiversität führt.
Wilson, J. D., et al. (1999). The effects of agricultural intensification on the decline of farmland birds in Britain. Proceedings of the Royal Society B.
Veen, P., Jefferson, R., Smidth, J. & van der Straaten, J. (2009). Grasslands in Europe of High Nature Value. KNNV Publishing.
European Environment Agency (2020). State of Nature in the EU.